Interkulturelles Verständnis in Teams Teil 1 - Die Vier Phasen der Integration

Interkulturelles Verständnis in Teams

 

Teil 1 

Die Vier Phasen der Integration

 

Die vier Phasen der Integration sind diejenigen Phasen, die jeder Mitarbeiter, der neu in einem Land zu arbeiten anfängt, durchläuft. Die einzelnen Phasen können bis zu sechs Monate andauern und werden alle mehr oder minder heftig erlebt.

 

Viele von uns kennen die erste Phase sehr gut, denn das ist diejenige Phase, die wir in unseren Urlauben erleben: Wir freuen uns auf das Neue. Wir genießen das tolle Wetter. Wir staunen und wir fotografieren wie die Weltmeister. Es ist die pure Euphorie! Aus diesem Grund nenne ich diese erste Phase auch „In Urlaubs-stimmung“. Die darauffolgenden Phasen hingegen, werden einigen von Ihnen, die nicht mehrere Jahre im Ausland tätig gewesen sind, sicherlich nicht bekannt sein.

 

In sehr vielen Unternehmen hört man, dass sich neue Mitarbeiter zu „integrieren“ haben. Damit gemeint ist lediglich, dass neue Mitarbeiter die neue Sprache schnellstens zu erlernen (am besten gestern) und die kulturellen und unternehmischen Verhaltens-weisen zu akzeptieren haben. Leider ist dieses sehr blauäugig, denn so einfach ist Integration nicht. Viele Unternehmen (und deren Mitarbeiter) wissen nicht, wie die Integration des neuen Mitarbeiters wirklich abläuft und mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hat. Viele denken, dass sich der neue Mitarbeiter „nur“ mit der neuen Sprache und dem „Heimweh“ herumzuschlagen hat. Weit gefehlt!

 

Es ist also nicht damit getan, den neuen Mitarbeiter einfach „nur“ in einen Deutschkurs und anschließend in sein neues Team zu stecken. Damit der Mitarbeiter sich gewinnbringend in das Unternehmen integrieren kann, benötigt er verstärkt die Unterstützung seines Teams – und diese Unterstützung ist im besonderen Maße in der 2. Phase gefragt - zu der ich weiter unten komme. Damit es im Team gut funktioniert, muss dieses Team sensibiliert werden, denn die Grundpfeiler für eine gute Zusammenarbeit in einem interkulturellen Team sind Kompromissbereitschaft, Gesprächsbereitschaft und Offenheit.

 

Die Integration verläuft, wie bereits anfänglich erwähnt, in vier Phasen. Die vier Phasen nenne ich: „In Urlaubsstimmung“, „Das Tal der Tränen“, „Die Rolltreppe nach oben“ und „Angekommen“. Um dieses doch sehr trockene Thema realistischer zu gestalten, möchte ich Ihnen hierzu Herrn Sánchez aus Argentinien vorstellen, der einen Dreijahresvertrag für die Dependance in München erhalten hat.

 

 

1. Phase - In Urlaubsstimmung

 

Herr Sánchez freut sich sehr, denn endlich erfüllt sich das, worauf er die ganzen letzten Jahre hingearbeitet hat: Er kann nun drei Jahre in Deutschland arbeiten! Die Umzugskosten werden übernommen, um die Krankenversicherung kümmert sich die neue Firma auch und er wird bei der Wohnungssuche unterstützt. Herr Sánchez braucht sich also um nichts zu kümmern und hat Zeit, sich seinen langjährigen Aufenthalt in den schönsten Farben aus-zumalen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiedet er sich von seiner Familie, seinen Freunden und seinen Bekannten. Aber wir sind ja nicht aus der Welt und es gibt ja auch noch Skype!

 

Einen Monat vor Arbeitsbeginn kommt Herr Sánchez in München an und wird von den vielen neuen Eindrücken überwältigt: Von der neuen Umgebung, der fremden Sprache, der fremden Stadt und dem fremden Essen. Zuerst ist er aber einmal damit beschäftigt, sich die Wohnungen anzuschauen, die ihm seine neue Firma ausgesucht hat und sich mit den kulturellen Unterschieden (z.B. dem Schlange stehen, der Pünktlichkeit) vertraut zu machen.

 

Vor Arbeitsaufnahme hat die neue Firma ihn zu einem einwöchigen Deutschkurs angemeldet, den er mit Begeisterung besucht, denn er möchte ja schnell Deutsch lernen und sich mit seinen Kollegen unterhalten. Nach dem einwöchigen Kurs nimmt er seine Arbeit in der neuen Firma auf und stellt fest, dass es doch sehr große Unterschiede in der Arbeitsweise gibt. Die Kollegen sind alle sehr nett und sprechen Englisch mit ihm – sofern seine Kollegen Englisch können. Nach seinem Intensivkurs und dem darauffolgen-den Unterricht in der Firma, möchte Herr Sánchez sich endlich mehr auf Deutsch unterhalten, aber alle sprechen nach dem ersten Satz Deutsch wieder Englisch mit ihm! Die ersten Monate also, ist Herr Sánchez damit beschäftigt sich überall zurechtzufinden und langsam hält der Alltag Einzug.

 

 

2. Phase : Das Tal der Tränen

 

Herrn Sánchez ist nun bereits eine Weile in Deutschland und es wird ihm spürbar bewusst, dass er jetzt drei Jahre ausharren muss. Die rosarote Brille ist weg, die Ernüchterung setzt ein und die ist bitter. Herr Sánchez muss die Sprache lernen und auch sprechen, aber wie soll er das machen, wenn seine Kollegen nach dem ersten Satz sofort ins Englische übergehen?! Zudem hat er kaum Zeit, sich seinem Deutschkurs zu widmen, weil ein wichtiger Termin den anderen jagt und ihm Deadlines im Nacken sitzen. Außerdem muss er Kollegen hinterherrennen, um die für ihn wichtigen Informationen zu erhalten – auf seine Emails antworten diese Kollegen ja nicht.

 

Herr Sánchez muss die volle Leistung erbringen, denn er ist ja schon einige Monate in Deutschland (also nicht mehr neu) und wird nicht mehr geschont: Er geht in Besprechungen, die aus einer Mischung aus Englisch und Deutsch bestehen und versteht nur die Hälfte. Den anderen Teil, nämlich den deutschen Teil, „meint“ er vielleicht verstanden zu haben, denn es waren ja Worte dabei, die er aus dem Deutschunterricht kennt. Er möchte aber nicht nachfragen und dieses kann zwei Gründe haben: a) Herr Sánchez möchte keine Belastung für seine neuen Kollegen darstellen, oder b) er ist mittlerweile so frustiert über die „Rücksichtslosigkeit“ der Kollegen in den Besprechungen, dass er einfach keine Lust mehr hat nachzufragen. Wenn sie von ihm etwas wissen wollen, sollen sie doch Englisch sprechen! Ansonsten geht er einfach davon aus, dass ihn das Deutsche nicht betrifft.

 

Die anfängliche Hilfsbereitschaft im Team hat mittlerweile stark nachgelassen und der Druck, Deutsch sprechen zu müssen, wird immer größer. Von seinem Vorgesetzen hört er in schöner Regelmässigkeit, dass er in einem Jahr den Besprechungen auf Deutsch zu folgen hat....und gleichzeitig wächst der Arbeitsdruck. Darüber hinaus hat Herr Sánchez immer noch mit der neuen „Unternehmens“kultur und dem sehr harten und teilweise aggressiven Umgangston Schwierigkeiten.

 

Hierzu ein Beispiel: Herr Sánchez muss einen kleinen Vortrag auf Deutsch halten. Hierfür bereitet er sich mühsam vor. Er feilt mit seiner Deutschlehrerin an den Sätzen, wiederholt diese immer und immer wieder, wobei er die richtige Aussprache und Intonation übt. So gewappnet, geht er in die Besprechung und hält seinen Vortrag. Insgeheim hofft er für seine Bemühungen gelobt zu werden, aber weit gefehlt! Wie die Geier, stürzen sich anschließend die Teilnehmer der Besprechung auf diejenigen Punkte, die noch offen waren, oder nicht angesprochen wurden. Anstatt sich des Konjunktivs zu bedienen (Könnte es sein, dass da noch ein Punkt offen ist?) verfällt man in den allso beliebten deutschen Imperativ (Da ist aber noch ein Punkt offen!). Dieses Verhalten hat zur Folge, dass Herr Sánchez die Besprechung anschließend frustiert und demotiviert verlässt und sich schwört, sich nicht mehr so viel Mühe zu geben, da es sowieso nicht honoriert wird.

 

Langsam wird Herrn Sánchez bewusst, dass die deutsche Kultur, die der Fehlerkultur ist und hier nie gelobt wird. Herr Sánchez glaubt mittlerweile sogar, dass es den deutschen Kollegen diebische Freude bereitet Fehler aufzuspüren und sich darauf zu stürzen – und wenn keine Fehler da sind, dann werden trotzdem welche gefunden.

 

Gerade in dieser Phase werden viele neuen Mitarbeiter depressiv, sind demotiviert und stehen kurz vor der Aufgabe. Viele meiner Kunden strichen in dieser Phase die Segel und begründeten ihren Weggang so: „Hier in Deutschland gibt es keine Teamarbeit! Man möchte...macht aber nicht! Hier gibt es keine Wertschätzung, denn ich zähle als Mensch nichts und muss nur abliefern. Zwar verdiene ich hier viel mehr, aber das Geld ist es nicht wert, noch länger zu bleiben.“

 

Herr Sánchez fühlt sich in dieser Phase alleine gelassen und bekommt das Gefühl, dass sich das Unternehmen für ihn überhaupt nicht interessiert.

 

Von Kunden, die sich in dieser Phase befanden, hörte ich, dass sie sich während der Woche mühsam von Besprechung zu Bespre-chung hangelten, sie schlecht schliefen, weil sie Alpträume plagten, das Wochenende aber zum größten Teil im Bett verbrachten und  den Schlaf nachholten. Das Letzte woran sie hier dachten, war ein Deutschbuch aufzuschlagen, denn dazu fehlte ihnen schlichtweg die Kraft.

 

Mangelnde Sprachkenntnisse und das Nichtverstehen der kultu-rellen Gepflogenheiten, sowohl im neuen Land, als auch im neuen Unternehmen, stellen eine sehr hohe zusätzliche Belastung zum alltäglichen Arbeitspensum dar und werden von Unternehmen und Teams oft nicht wahrgenommen. Warum eigentlich nicht? Weil Unternehmen bzw. Teams die verschiedenen Integrationsphasen größtenteils nicht kennen und schlichtweg der Meinung sind, dass der neue Mitarbeiter „nur“ an Heimweh leide.

 

Herr Sánchez, weiß nicht wohin mit seinen Problemen und wendet sich an diejenige Abteilung, die ihn anfangs unterstützt hat. Diese fühlt sich jetzt aber nicht mehr für ihn zuständig und anstatt ihm das auch so mitzuteilen, antwortet sie nicht auf seine Emails und lässt seine Anrufe unbeantwortet.

 

Also schließt Herr Sánchez sich logischerweise seinen Landsleuten an - was absolut verständlich, der erfolgreichen Integration aber nicht dienlich ist - und grenzt sich so ein stückweit aus.... Nein, eigentlich stimmt das so nicht..., denn Herr Sánchez hat sich ja nicht freiwillig ausgegrenzt. Ansonsten hätte er ja dem Drei-jahresvertrag von Haus aus nicht zugestimmt. Der Wille zur Integration war ja da, aber durch das von ihm empfundene „Des-interesse an seiner Person“ und der mangelnden „Integrations“hilfe, fühlt er ja quasi dahin gedrängt.

 

In meinen Vorträgen und Teamtrainings werde ich oft über mein Thema „Integrations-Partnerprogramm“ gefragt und dieses möchte ich Ihnen hier kurz erläutern: Mit diesem Programm erhalten neue Mitarbeiter, bereits in der 1. und 2. Phase, die Integrationshilfe, die sie benötigen, um sich in der neuen „Unternehmens“kultur zurechtzufinden und sich auf angenehme Weise erfolgreich integrieren zu können. Der Integrations-Partner ist dazu da, dem neuen Mitarbeiter Fragen zu beantworten und ihn bei seinen diversen Anliegen zu unterstützen. Dieses Integrations-Partnerprogramm beruht auf Freiwilligkeit und auf beidseitigem Vertrauen. Da dieses Programm etwas mehr Raum benötigt, gibt es zu diesem Artikel einen zweiten Teil, der sich ausschließlich mit diesem Thema befassen wird.

 

Jetzt bin ich etwas abgeschweift und habe dem zweiten Teil etwas vorgegriffen. Also zurück zu unseren Phasen:

 

 

3. Phase : Die Rolltreppe nach oben

 

Langsam, ohne dass Herr Sánchez es wirklich bemerkt, geht es aufwärts.

 

Warum nenne ich diese Phase „Die Rolltreppe nach oben“? In dieser Phase, erfolgen die Veränderungen schleichend. Wenn ich mich z. B. auf eine Rolltreppe stelle, muss ich ja auch nichts dafür tun, dass mich diese nach oben bringt, und genauso verhält es sich in dieser Phase.

 

Herr Sánchez ist jetzt schon mit einigen grundsätzlichen Gepflogenheiten vertraut und hat viele Dinge so akzeptiert wie sie sind. Manches ist ihm zwar immer noch schleierhaft, aber dann ist es einfach so. Herr Sánchez hört in dieser Phase auf zu vergleichen und zu bewerten. Vieles wird einfacher, weil er bereits eine gewisse Routine entwickelt hat.

 

 

4. Phase : Angekommen

Herr Sánchez kann nun den Aufenthalt im neuen Land zu genießen. Er ist offen für das Neue und lernt Land und Leute kennen. Er ist erst jetzt in der Lage die Vor- und Nachteile des Gastlandes neutral zu bewerten.

 

In dieser Phase geschieht es oft, dass gewisse Verhaltensweisen, wie z.B. Pünktlichkeit und dem „in der Schlange stehen“, zur eigenen Selbstverständlichkeit werden. Mir sagte einmal ein Kunde: „Wenn ich wieder nach Hause komme, werde ich mit der Unpünktlichkeit und der Unruhe in unseren Großraumbüros so meine Probleme haben. Bei uns ist es normal, dass wir zu einem Termin 30 Minuten später erscheinen. Damit werde ich sicherlich klarkommen müssen. Auch werde ich die Ruhe in einem Raum mit vielen Menschen vermissen. Wir haben auch Großraumbüros, aber da geht es wie auf einem Bahnhof zu. Der Geräuschpegel ist enorm. Hier in Deutschland merkt man nicht, dass sich so viele Menschen einen Raum teilen.

 

Wie Sie, meine lieben Leser, nun unschwer erkennen können, durchlaufen diese Mitarbeiter, wieder im eigenen Land angekom-men, die gleichen Phasen.

 

Möchten Sie nun wissen, wie Sie Ihre neuen Mitarbeiter in ihren Integrationsprozessen sinnvoll unterstützen können, dann möchte ich Sie herzlich zum zweiten Teil meines Artikels „Das Integrations-Partnerprogramm“ einladen, der am 15. Januar 2018 erscheinen wird.

 

Bis dahin viel Erfolg!

 

Ihre Renée Müller-Naendrup

 

SICHTBARER Erfolg durch SICHTBARE interkulturelle Kommunikation!

 

 

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©Renée Müller-Naendrup

Alle Rechte vorbehalten

 

 

*) Aufgrund der besseren Lesbarkeit verwende ich in meinen Artikeln, der Einfachheit halber, nur die männliche Form.

 

 

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